Ich hab ne Frage an die Profis. Je tiefer ich in die historische Weberei eintauche um so schwieriger wird es, das passenden Material zu bekommen. Gerade habe ich ein Buch der Fernleihe da, "Segeltuch und Embalage" in dem man nachlesen kann wie wichtig die Art des Garns für Funktionalität des Gewebe ist. Denkt man ne Sekunde drüber nach ist das sonnenklar. Bei den Wollsegeltuchen der vergangenen Zeit wurden als Kette und Schuß, S und Z gesponnen Garne* verwendet. In der Vergrößerung der historischen Gewebe sieht man das durch die Spinnrichtung der einen Richtung als Kette und der anderen als Schuß, die Fasern alle in eine Richtung zeigen. Das macht den Stoff sehr dicht. Was mich wundert - alle meine Garne die hier so rumliegen, sind als einfädiges Garn Z, als gezwirnte Garne S gesponnen. Bei all den Hightechtextilien die es heute so gibt, werden die Garne so gar nicht mehr eingesetzt ? Oder gilt die Drehungsnorm nur bei Wollgarnen ?
Ich würde mich freuen, wenn ihr mir dazu etwas sagen könntet.
*für die Nichtspinner,Z gedreht ist das Garn wenn es mit dem Uhrzeigersinn gesponnen ist,der Faden hat die Drehung des Buchstaben Z, genau gesagt dem des langen Querbalken im Buchstaben, bei S ist es anders rum.
Neugirige Grüße Silvia - die sich langsam daran gewöhnt, das es das was sie braucht, nicht zu kaufen ist
ZeitenSprung 29.02.2012 11:53
WildeWebe Hallo Silvia,
Das ist auch bei moderner Weberei so. Gerade die etlichste Absage für das Trachtenstoffgarn eingesammelt. Materialrecherche ist mittlerweile ein ernstzunehmender Zeitfaktor in der Preisplanung.
Ich bin keine Spinnerin, von der Materie habe ich wirklich wenig Ahnung. Dennoch dachte ich immer, es ist üblich das Einzelgarn in die eine Richtung zu drehen, den Zwirn dann in die andere. Machst Du das nicht auch am Spinnrad so ?
WildeWebe (Manager) 29.02.2012 12:53
ZeitenSprung Ja es ist üblich, im Uhrzeigersinn den Einzelfaden zu spinnen und dagegen zu zwirnen. Aber das war nicht immer so. Es gibt aus der Keltenzeit einen uni Stoff der ein Schabrettmuster hat,obwohl es in 2/2 Köper gewebt ist, einfach indem man abwechselt Streifen aus S und Z Garn als Kette und Schuß verwendet hat. Das Muster sieht man nur je nach dem wie das Licht fällt, und auch das weben dürfte am Gewichtswebstuhl in einer Webhütte ohne wirkliche Beleuchtung spaßig gewesen sein.
Ich würde am liebsten eine Buchseite hier zeigen,aber das gibt Ärger wegen des Copyrights.
Schade, ich dachte das sei evtl Materialkunde der Weber, das mit Spinnrichtung und so.
ZeitenSprung 29.02.2012 13:04
wonalux Es gibt alles, und alles hat irgendwo seinen Zweck. Industrielle Köperstoffe werden soweit ich weiß immer abwechselnd mit einem S- und einem Z-gedrehten Faden geschossen um das Verziehen des Stoffes zu verhindern. In der Handweberei verhindert man das Verziehen durch Gratwechsel. Hast Du mal ein langes Stück in K 2/2 ohne Gratwechsel gewebt? Das wird schräg.
Was das Zwirnen angeht, so kann man auch zwei S gedrehte Garne noch einmal in S-Richtung zusammendrehen und erhält dann einen ganz festen Zwirn. Ich meine, das Fiskegarn, was gerne als Kettgarn für Teppiche verwendet wird, wird so hergestellt.
Ich kann heute abend noch einmal in meine Unterlagen schauen und genauer Auskunft geben.
wonalux 29.02.2012 14:38
seidigundedel Hallöchen, ich kann ja mal versuchen meinen Beitrag dazu zu geben: ich stimme mit Zeitensprung übereun; die Garne werden im Uhrzeigersinn (s) gesponnen und dann in z -richtung gezwirnt.
Ich kann mir allerdings nicht vorstellen das Weber beim Weben darauf achten das sie z und s gedrehtes Garn in Kette und schuss verwenden ????oder Antigone hast Du schon mal beim Schären darauf geachtet ob Deine Garne s oder z gedreht waren und hast Du das mit in Deine Gewebe Planung mit ein gerechnet und danach geschärt und geschossen??? (vielleicht habe ich die Frage auch falsch verstanden.) Vielleicht ist das wissen um das Garndesign auch nicht mehr so bekannt wie früher.
....das währe mir glatt ein Versuch Wert, für so einen Versuch würde ich Garn spinnen, 2 fach in s und z Drehung, vielleicht hat ja eine Weberin Lust die Wolle dann zu verweben ;o) um zu schauen ob das so funktioniert, wie die Wikinger Ihre Segeltuche gewebt haben.
Kennen tue ich, das die Garne verschieden stark gedreht werden, für Kettgarne zum Weben ca. 45Grad, Das Schuss Garn wird weniger stark gedreht ca. 20 Grad und zum Stricken wird gern mit langem Auszug gesponnen, da hat das Garn noch so ca. 5 Grad drehzung, damit es dann schön weich ist.
Wenn allerdings zwei z gedrehte Zwirne wieder verszwirnt werden wird es wieder eine s drehung werden, anders geht es nicht. Und diese Drehungsmomente bei den Garnen haben einen sehr erheblichen Einfluss auf die Struktur und den Griff des Gewebes. Es ist dabei unerheblich, ob es Wolle oder Andere Fasern sind.
seidigundedel 02.03.2012 23:26
ZeitenSprung Hallo Seidig, ich muß mich mal zu Quellen im Netz schlau machen, um das ohne Copyrihghtverketzung hier zeigen zu können. Das ist es eben was mich stuzig macht, früher war das gang und gebe, heute weiß man das nicht mehr ? Vielleicht braucht man das bei den heutigen Higthtech Fasern auch nicht mehr ?
Das Experiment dazu läuft, Garn in S + Z Richtung ist schon in Arbeit, allerdings kein gezwirntes sondern unverzwirntes Einfachgarn.
Wenns interessiert halt ich Euch auf dem Laufenden. Es dauert halt nur.
ZeitenSprung 03.03.2012 09:15
wonalux Hab nochmal nachgesehen: Beim Köper muss ich mich korrigieren. Wenn man im Schuss ein Garn einsetzt und keinen Zwirn, dann wählt man die Gratrichtung des Köpers entgegen der Drehrichtung des Garns um das schrägziehen zu verhindern.
Bei der Drehrichtung stimmt aber, was ich oben geschrieben habe: bei Aufrahtzwirn werden S-gedrehte Garne in Z-Richtung verzwirnt (oder umgekehrt), dadurch wird der Drall des Garnes wieder ausgeglichen. Bei Zudrahtzwirn wird das Garn in die gleiche Richtung verzwirnt, dadurch erhält man z.B. Kreppgarne oder Effektgarne. Zwei Zudrahtzwirne aufdraht verzwirnt ergibt einen sehr festen Zwirn.
Bisher habe ich beim Weben nicht auf die Drehrichtung geachtet, nur auf die Stärke der Drehung. Mit überdrehtem Garn kann man sehr schöne Effekte erreichen.
Zeitensprung, halt uns unbedingt auf dem Laufenden, ich bin sehr an Deinem Experiment interessiert!
wonalux 05.03.2012 10:08
WildeWebe Es gibt durchaus die Möglichkeit mit Drehrichtung zu mustern beim Weben. Wenn z.B. in der Kette Streifen von S und Streifen von Z gedrehten Garn nebeneinandergesetzt werden, dann entsteht dadurch ein subtiler Streifen, der allein durch die unterscheidliche Drehung entsteht, wenn das Garn sich ansonsten nicht unterscheidet. Ich meine in einem der Ann Sutton Bücher ist eine Weste dargestellt, die nur durch die Drehung der Garne gemustert ist. Wenn ich dran denke guck ich mal nach.
WildeWebe (Manager) 05.03.2012 20:21
ZeitenSprung Mit freundlicher Genemigung von meiner Freundin Marled, darf ich Euch mal ihr Gewebe in Spinnrichtung zeigen. Wie oben schon erwähnt, ist das Muster nur deshalb entstanden in dem der Faden mal S und mal Z gedreht ist. Diese Gewebe entspricht einem Fund aus der Bronzezeit, also noch einiges vor unserer Zeitrechnung. Was mich daran am allermeisten fasziniert ist unter welchen Bedingungen solche Stoffe gewebt wurden: am Gewichtswebstuhl, und vermutlich zu spärlicher Beleuchtung. Hut ab !
Man kann gut erkennen wie sich die Optik je nach Blickwinkel und Lichteinfall ändert. Die Garne zu diesem Stoff sind von Hand gesponnen.
ZeitenSprung 07.03.2012 07:46
WildeWebe WoW, Was für tolle Photos zu dem Thema !!
WildeWebe (Manager) 07.03.2012 08:50
margamay Ich habe heute meine ersten Spinnversuche überhaupt mit der Handspindel gemacht. Nicht wirklich schwer aber noch seeehr langsam und natürlich nicht wirklich gleichmäßig. War aber ganz überrascht, wie dünn ich so einen Faden spinnen kann - so dünn, dass er gerade eben noch das Gewicht der Spindel hält. Jetzt tun mir die Finger weh aber die Spule ist noch nicht mal ein Viertel voll. Wenn ich mir vorstelle, dass es Zeiten gab, da alles Garn so hergestellt wurde...
margamay 01.04.2012 21:36
ZeitenSprung Das ist es was mir immer solche Ehrfucht bei alten Textilien einjagt. Wenn ich erzähle das ich "Mittelalter mache" sagen viele ahhhh - Sackleinen. Aber eigendlich ist das Gegenteil der Fall. Besonders wenn man ins Frühmittelalter schaut, stellt man fest, das Textilien oft Statussymbole gewesen sein müssen. Und die Kunstfertigkeiten der Frauen sehr groß war, was spinnen, und weben und auch nähen anbelangt. Kluge Köpfe haben ausgerechnet, das eine Frau in einem Jahr die textile Austattung für eine Person herstellen konnte. Inwiefern das so stimmen kann, wage ich zu bezweifeln, wenn man an die Lichtverhältnisse in den Häusern der einfachen Leute denkt, und daran das sich mit vor Kälte steifen Fingern nicht spinnen oder nähen läßt. Das Spinnrad wurde erst im ausgehenden Mittelalter erfunden, so um Da Vinci rum, oder war es es sogar selber ? Davor gab es ein Wollrad, das von Hand angeschubst werden mußte, und auf dem sich nur Schußgarn herstellen ließ. Es wurde also von Hand gesponnen. Dazu gab es unterschiedlich schwere Spindeln, damit unterschiedlich dünne Fäden gesponnen werden konnten. Es gibt erstaunlich kleine Spindeln um gespinnstähnliche Fäden herzustellen. Im Museum werden solche Spindeln gerne als Schmuck angeboten, man muß ins Loch der "Perlen" schauen, ist das Loch innen konisch, hat man vermutlich eine Spindel vor sich. Es war so viel Fachwissen nötig, um diese Stoffe herzustellen, gar nicht zu reden von der Zeit und der Fingerfertigkeit. Und uns modernen Menschen ist so viel davon verloren gegangen. Gerade dieses Wochenende hab ich erlebt wie eine Besucherin auf der Reenactmentmesse empört meinte, "WAAAASSSS??? so ein viereckiger Lappen soll ein Mantel gewesen sein ?" und zeigte auf einen Prunkmantel mit angewebter Brettchenborte pflanzengefärbt und handgewebt. *Seufz* Schlimm finde ich immer das solche Leute sich für fortschrittlich und gebildet halten, und denken das die Leute früher blöd und oder primitiv waren. *augenroll*
wonalux Danke für die Fotos! Ist das Köper oder Leinwand? Das kann ich nicht erkennen. Interessant wäre auch zu sehen, wie das Gewebe nach der Nachbehandlung aussieht, also ob es eine dreidimensionale Struktur bekommt durch die unterschiedliche Drehrichtung.
wonalux 03.04.2012 14:34
Porta-patetDAWANDA Hallo! Zur Musterung durch die Spinnrichtung kann ich aus Sicht des Brettchenwebens sagen, dass es wirklich Musterbildend wirkt. Beim Brettchenweben ja noch verstärkt, weil man während des Webens ja nochmals 4fach verzwirnt. Ein Brettchen falsch S oder Z aufgezogen und das Muster ist futsch.
Was mittelalterliche Kleidung angeht: Historiker und Archäologen gehen davon aus, dass eine Frau pro Jahr EINEN Satz Kleidung anfertigen konnte. Natürlich im Durchschnitt. Aus dem frühen Mittalter (bis ca. 8. Jahrhundert) sind Gewebe mit aufwändiger Musterung wie Diamant- oder Rosettenköper bekannt, bei denen auch die Spinnrichtung der Garne mit berücksichtigt wurde (soweit sich das aufgrund des Erhaltungszustandes der Stoffe noch sagen lässt). Übrigens wurden diese Köperstoffe am Gewichtswebstuhl (!) mit bis zu 8 Litzenstäben gewebt. Ich komme da schon bei Tuchbindung draus :-( Es sind auch Gewebe belegt, die sind feiner gefertigt als die heutigen feinsten maschinengewebten Stoffe - von Hand gesponnen und gewebt, Wahnsinn!
Eine Freundin von mir spinnt viel und gut mit der Handspindel. Erfahrungsgemäß fertigt sie ca. 140 m feinen Garnes pro Stunde. Nach dem Zwirnen ergibt das ein Strickgarn, das in etwa mit Nadelstärke 2 verstrickt werden würde. Wer rechnet das jetzt mal hoch für ein Gewand?
Zitat: "WAAAASSSS??? so ein viereckiger Lappen soll ein Mantel gewesen sein ?"
Wer bitte hat die auf solch eine Messe geschleppt?! Die war ja wohl fehl am Platz. Solchen Leuten würde ich immer gerne einen Vortrag halten, aber das ist verschwendeter Atem. Das mache ich dann lieber beim Kinderferienprogramm, während die Kleinen Wolle waschen, spinnen und weben ausprobieren. Die meisten nicken dann wissend *gg*
ZeitenSprung @Wonalux, am Wochenende konnte ich die Fertige Bluse aus diesem Stoff bewundern. Nein es hat keine dreidimensionale Struktur, ich konnte auch keine ertasten. Vielleicht weil das Gewebe wirklich fein ist - zumindest für handgesponne Wolle, (die Siedenweber mögen Anderes gewohnt sein.) Die Bindung ist 2/2er Köper.
ZeitenSprung 04.04.2012 09:05
ZeitenSprung habe ich gerade im "Weber Treff NRW" Blog (http://weber-treff-nrw.blogspot.de/) gefunden: https://www.youtube.com/watch?v=6VbZHWPKf...player_embedded Wenn ich das richtig sehe, werden dort zwei Fäden per Spulvorrichtung in verschienede Richtungen gedreht und es endsteht auch eine Art SPinnrichtungsmuster. Das sieht zwar vollkommen anders aus, als bei den historischen Geweben, aber ich wollte die Idee doch mal zeigen.